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Arbeitsalltag auf der Demenzstation

Im letzten Blogbeitrag habe ich euch bereits angekündigt, dass ich euch heute etwas über unseren Arbeitsalltag berichten werde.


Nun, das meiste ist unspektakulär: ob wir nun Körperpflege machen, die Bewohner zum Essen begleiten, ihnen das Essen eingeben, uns mit ihnen unterhalten...und doch sind es diese Momente, die uns zum einen durch den Alltag tragen, zum anderen aber auch manchmal einfach so ermüdend sind. Doch jeden Tag aufs Neue geben wir unser Bestes. Und wenn das mal nicht möglich sein sollte, habe ich das Glück in einem Team zu arbeiten, in dem ich auch sagen kann: heute schaffe ich diesen Bewohner, diese Bewohnerin einfach nicht. Kann sich bitte jemand von euch um ihn/sie kümmern? Und diese Frage kann ich auch in der Gewissheit stellen, dass mich die Anderen verstehen.


Auch Alltag in unserem Heim: die Hühnis, die von vielen Bewohnern besucht werden.
Auch Alltag in unserem Heim: die Hühnis, die von vielen Bewohnern besucht werden.

In der Langzeitpflege geht es vor allem darum, Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten und zu betreuen. Es ist nicht wie im Spital, wo es immer wieder um Leben und Tod geht oder darum, jemanden wieder 'gesund zu machen'. Bei uns im Altersheim ist uns bewusst, dass niemand von unseren Bewohnern jemals wieder gesund wird und wir irgendwann, früher oder später, ihr Sterben begleiten werden. Immer wieder. Und das muss man aushalten. Doch zugleich ist das der Ansporn, die letzten Schritte ihn ihrem Leben so angenehm, so schmerzfrei und auch selbstbestimmt wie möglich zu gestalten.



Selbst das Pony kommt zu Besuch...
Selbst das Pony kommt zu Besuch...

Doch immer wieder kommt es zu Situationen, wo die Selbstbestimmung nicht mehr im Vordergrund steht: sei es, weil sie wegen ihren kognitiven Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, etwas selbst zu bestimmen oder weil wir zu ihrem eigenen Schutz Entscheide treffen müssen, die sie so nicht getroffen hätten.


Unser Parkplatz 🙃
Unser Parkplatz 🙃

Wie bei dem Herrn, der als weltgewandter Reisender mit beginnender Demenz zusammen mit seiner Frau bei uns eintrat. Ein so liebenswertes Paar, das sich sehr zugetan war und viel zu erzählen hatte. Die Ehefrau, unternehmungslustig und allen Bewohnern zugetan, hatte ein schweres Herzleiden, was sie immer mehr einschränkte. Konnte sie zu Beginn noch selbst auf unserer Station hin und her gehen, fehlte ihr immer häufiger der Atem dazu. Als sie schliesslich im Rollstuhl sass und ihre Kraft immer mehr nachliess, sorgte sie sich viel mehr um ihren Ehemann als um sich selbst. Irgendwann kam auch der Zeitpunkt, da sie bettlägerig wurde: jedes mobilisieren in den Rollstuhl wurde zu anstrengend. Sie fürchtete sich nicht vor dem Sterben, erwähnte dies auch immer wieder. Als ich wieder einmal an ihrem Bett sass und mich mit ihr unterhielt, meinte sie: 'Ich weiss, dass ihr euch gut um meinen Mann kümmern werdet, deshalb kann ich in Frieden gehen.' Das hat mich sehr berührt und auch gezeigt, dass sich unser täglicher Einsatz lohnt. Nun, sie starb und ihr Mann blieb zurück.


Nach ihrem Tod schritt seine Demenz rasant voran, er konnte seine körperlichen Kräfte nicht mehr einschätzen und stürzte immer wieder beim Gehen. Und irgendwann war es soweit: er stürzte so unglücklich, dass er sich den Oberschenkelhals brach. Er wurde operiert und kehrte zu uns zurück. Doch seine Demenz liess ihn all das vergessen, er lief hin und her und stürzte erneut, immer wieder. Irgendwann stand die Frage nach einem Rollstuhl im Raum: was war wichtiger? Seine Selbstbestimmung, seine Mobilität oder seine körperliche Unversehrtheit? Nach vielen Abklärungen, auch mit den Angehörigen, bekam er einen Rollstuhl, mit welchem er sich selbst hin und her bewegen konnte. Zugleich machten wir auch immer wieder Gehtraining mit ihm, denn solange jemand von uns dabei war, war er vor Stürzen sicher.


Nun, es kam, wie es kommen musste: wenn er selbstständig im Rolli unterwegs war, stand er auch immer wieder auf und lief auf unserer Station herum. Oft sahen wir ihn rechtzeitig, aber wir sind nicht 24/7 neben einer Person und...wenig überraschend: er stürzte wieder und verletzte sich dabei. Was sollten wir tun? Der nächste Schritt war also: es weiter so zu handhaben wie bisher, mit der Gefahr, dass er sich irgendwann erheblich bei einem Sturz verletzen wird, oder ihn im Rolli festzugurten, damit er nur in unserer Begleitung aufstehen konnte. Eine sehr schwierige Entscheidung mit vielen Pro's und Kontra's.


Auch wenn immer wieder Geschichten in den Medien und Köpfen herumgeistern, in Altersheimen würden die Leute kurzerhand festgebunden, wenn sie 'schwierig' werden oder mehr Unterstützung brauchen, Ich versichere euch: diese sogenannten Freiheitsbeschränkenden Massnahmen werden nur in Notfällen und zum Schutz der Bewohner eingeleitet und vorher muss vieles abgeklärt und genehmigt werden, schliesslich muss so ein Entscheid auch rechtlich Bestand haben.


In diesem konkreten Fall war jeder Entscheid gefühlt falsch und zugleich richtig. Schliesslich wurde nach allen Abwägungen und in Absprache mit den Angehörigen entschieden, den Bewohner mit einem Gurt im Rollstuhl zu fixieren. Denn das Risiko, dass ihrem Vater bei einer grösseren Verletzung erneut eine Spitaleinweisung drohte, war zu gross und würde ziemlich sicher einen weiteren Demenzschub oder ein Delir auslösen. Ihr seht also: solche Entscheide werden nicht im Vorbeigehen oder aus einer Laune heraus gefällt und sind sehr oft ganz schwierig zu treffen.


Wie es dem Herrn weiter erging? Seine Demenz schritt weiterhin voran, schneller als bei anderen und wir vermuteten, dass er einfach seine Frau vermisste. Irgendwann war auch er bettlägerig, wir pflegten ihn, gaben ihm das Essen ein, hielten seine Hand. Und dann, eines Tages, wir waren gerade zu zweit im Zimmer, um ihn zu pflegen, da schaute er durch uns hindurch und er redete mit seiner Frau. Da wussten wir, dass er bald gehen würde und wenige Tage später war es soweit: er starb. Im Beisein seiner Familie. Und nachdem sich seine Familie ein letztes Mal von ihm verabschiedet hatte, konnten auch wir dies tun: ein letztes Mal das Zimmer betreten, seine Hand halten und ihm eine gute Reise wünschen.



Alles wird dokumentiert, auch der Sterbeprozess.
Alles wird dokumentiert, auch der Sterbeprozess.

Wenn unsere Bewohner sterben, nehmen wir uns die Zeit, uns von ihnen zu verabschieden. Sei es, nachdem sie bereits verstorben sind, sei es während dem Sterbeprozess. Denn nicht immer haben wir an dem Tag Dienst, an dem ein Bewohner diese Erde verlässt. Doch häufig können wir schon erahnen, dass der Bewohner bei unserem Dienstantritt ein paar Tage später nicht mehr bei uns sein wird und verabschieden uns noch vorher. Eine schöne Geste, die nicht nur Respekt vor dem Bewohner zeigt, sondern vor dem Leben überhaupt.


Ich hätte natürlich noch viel mehr von unserem Alltag zu erzählen, doch ich denke, das reicht fürs Erste. Falls ihr noch mehr darüber lesen wollt, schickt gerne einen Kommentar und ich werde euch weitere Einblicke in unseren Arbeitsalltag geben.


Machts gut


Corinna




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